Herbst und Winter - Die Zeit der Vampire und Engerl

29.10.2019

Der Herbst ist da - neue Schulklassen haben sich geformt, die Studenten finden sich im Oktober auch endlich auf ihren Hörsaalbänken ein und das Anmelde-Prozedere dort ist überstanden, die Gruppen sind fix. 

Mit den Blättern der Bäume fallen durch den Herbstwind auch die ganzen Arbeitsaufträge auf einen herab, die das neue Schul-/Studienjahr zu bieten hat, und angesichts der beinahe unüberwindbaren Menge an Arbeit, die vor einem liegt, beginnen sich Gruppen zu bilden - zur Arbeitsaufteilung, für den Elternverein, für die gemeinsame Abschluss-Präsentation oder im neuen KollegInnen-Team. Nach ausgiebigem gemeinsamen Sudern über das ganze blöde System und etwas Smalltalk über dies und das werden gemeinsame Ziele formuliert und mit dem Gefühl, nicht alleine zu sein, geht man ab diesem Zeitpunkt beruhigter schlafen.

Die letzten Sonnenstrahlen laden dann nicht nur die StudentInnen und SchülerInnen dazu ein, draußen zu flanieren, Partys zu genießen, mit den Kindern auf dem Spielplatz zu toben und Kastanien zu sammeln. In weiter Ferne erkennt man schon die Beleuchtung der Weihnachtsmärkte, während man in Lebkuchen beißt oder im Supermarkt zwischen Halloween-Süßigkeiten und dem ersten Adventkalender steht. Gerade als alles so idyllisch zu sein scheint, bricht es über einen herein, der Regen, der kalte Wind, und die ganze ungetane Arbeit der gesamten Gruppe.

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich erst in einer Gruppenarbeit die wahre Persönlichkeit eines Menschen zeigt. Es wundert mich immer wieder, dass ProfessorInnen diese schrecklichste Form des Arbeitsauftrags immer noch so gerne verteilen, wo sie doch in ihrer Karriere sicherlich genau das Gleiche miterlebt haben. Wahrscheinlich liegt es daran, dass so am meisten Inhalt (scheinbar) bearbeitet wird, und am Ende durch die Präsentationen im Seminar das Wissen an alle anderen weitergegeben wird und huch ... die ProfessorInnen hatten selber das ganze Semester kaum etwas zu tun.

Warum ist die Gruppenarbeit also so überaus unangenehm für uns? Wildfremde Personen scheinen das gleiche Ziel vor Augen zu haben, die Vorstellung von dem Weg dorthin unterscheidet sich vom einen zum anderen jedoch gehörig. Im wirren "Wer macht was?" und "Sollen wir uns mal treffen?" findet sich im Gruppenchat eine etwas verwirrte Antwort und mindestens zwei Gruppenmitglieder antworten tagelang gar nicht, weil sie ihr Handy wohl für sowas nicht nutzen wollen. Irgendwann erklärt sich dann eine Person (meistens die, die die Note am dringendsten braucht und/oder strebermäßig am meisten Stress empfindet) unfreiwillig bereit, die Koordination zu übernehmen und teilt Aufgaben zu, was erst mal erfreut akzeptiert wird, am Ende macht aber doch wieder jedeR, was er/sie will, und die PerfektionistInnen liegen mit Schnappatmung die ganze letzte Nacht vor Abgabe im Bett und schämen sich für die abgelieferte Arbeit. 

Gelernt haben von den 5 Mitgliedern nur zwei vielleicht ein bisschen was durch diese Gruppenarbeit, die anderen zwei haben sich um das Plakat oder um die Fotos gekümmert und die meiste Arbeit blieb an einer Person hängen, die sich über die positive Note freut und über ihre bescheuerten KollegInnen ärgert. Warum? Weil sie es allein besser gemacht hätte, schneller gewesen wäre und nicht so viel Energie investieren hätte müssen in die Formatierungsfehler, Rechtschreibfehler und Arbeitshaltung der anderen. Ich nenne solche Menschen gerne Alltagsengerl, die sich vor nichts mehr fürchten, als vor diesen Energievampiren, die den Engerln die Leichtigkeit nehmen, und denen gegenüber ein Engerl immer freundlich bleiben wird, auch wenn er/sie noch so anstrengend ist. Der Energievampir möchte seine eigene Energie nämlich nicht wirklich aufwenden, möchte mit dem minimalsten Aufwand zum besten Ergebnis kommen und sucht sich deswegen ein Alltagsengerl zum Mitschnorren und spendiert ihr/ihm am Ende einfach ein Bier beim nächsten Festl.

Ein Alltagsengerl schluckt das Bier und den Frust, steht über den Dingen und ist davon überzeugt, dass es nichts bringt, miteinander zu streiten, wenn es einen gemeinsamen Auftrag gibt. Es wird dir niemals deine Schwächen vorhalten, sondern immer freundlich das Beste aus der Situation machen wollen und möchte nur, dass alle einen guten Tag haben. Es sind die Menschen, die mit der alten Dame an der Bushaltestelle plaudern und scherzen, vielleicht sogar ein klein wenig flunkern, damit die Dame lacht und nicht alleine aussteigen muss. Es sind diejenigen, die ein weinendes Kind fragen, was los ist, und dann mit ihm auf die Mutter oder den Vater warten, die noch im Stau stehen. Es sind die Kunden, die den grantigen Verkäufern am Ende ein Danke, ein Lächeln und ein "Schönen Tag noch!" schenken und Trinkgeld geben, obwohl die nichts davon verdient haben. 

Energievampire nennen solche Engerl vielleicht naiv, dumm oder anstrengend fröhlich. Doch gerade dann bemühen sich die Alltagsengerl umso mehr, dass sie den Vampiren ein Lächeln entlocken und sie merken, dass doch alles gar nicht so schlimm ist. Diese Einstellung kostet ein Engerl viel Kraft, aber es ist davon überzeugt, das Richtige zu tun. 

Das Leben hat schreckliche Schicksalsschläge auf Lager, die einen früher oder später in unterschiedlicher Härte treffen. Solange das aber noch nicht oder nicht mehr der Fall ist, sollte man versuchen, jeden Tag lächelnd zu beginnen und zu beenden, solange man noch kann. In dieser glücklichen Lage kann man außerdem anderen Menschen ein Lächeln schenken, egal wem, einfach so, weil es nicht weh tut und nichts kostet - im Gegenteil, es zahlt sich vor allem für einen selbst aus. Im Zweifelsfall, wenn man nicht sicher ist, ob man mit dem Kind neben sich reden soll, oder nicht, den Knopf für den alten Herren im Bus drücken soll oder nicht oder ob man die Putzfrau auf der Straße grüßen soll - entscheide dich für den freundlichen Weg, sei ein Engerl. 

Umgekehrt findet man sich vielleicht mal in einer dunklen Stunde wieder und alles um einen herum scheint hoffnungslos zu sein. Dann kann eine solche Begegnung, ein Gespräch, ein Lächeln, ein Kompliment deinen Tag retten, wenn du es zulässt. Es wird dich überraschen, dir unheimlich vorkommen, fast so, als hättest du einen Geist gesehen - nein, dann ist dir ein Engel erschienen. Kein Bibel-Engerl mit göttlicher Botschaft, sondern ein Alltagsengerl, das dir vielleicht jemand geschickt hat, damit es dir besser geht ...