Wie uns ein Virus aufzeigt, wie krank unser System ist

12.03.2020

Homeoffice, E-Learning und Waren im eigenen Land zu produzieren - wir wüssten doch eigentlich, wie es geht. Anscheinend muss uns ein Virus dazu zwingen, möglichst jeden Kontakt zu vermeiden, um uns daran zu erinnern.

Es erinnert uns daran, dass wir unsere Gesundheit nicht kontrollieren können, nur schützen. 

Wir arbeiten und leben schon lange wie Maschinen. Zuverlässig sollen wir sein, verlässlich, immer die gleichen Leistungen erbringen oder besser werden, keine Fehler machen. Wir sollen uns spezialisieren und am Ende doch alle die gleiche Prüfung bestehen, egal was uns interessiert oder wie es uns geht.

Aber wir haben einen Körper, sind "auch nur Menschen" und nicht nur fehlbar, sondern auch noch sehr leicht außer Gefecht zu setzen. Ein lebensbedrohliches Virus erinnert uns jetzt daran, auf unseren Körper zu achten, wenn uns fünf Ärzte dazu raten, wollen wir es ja nicht glauben.

Bei einer Erkältung, psychischen Problemen oder Kopfschmerzen belächeln wir uns gegenseitig, sind wohl doch nicht so gut belastbar und können doch nicht so gut mit Stress umgehen, wie wir im Bewerbungsgespräch behauptet haben. Wir werden weniger ernst genommen, wenn wir Schwäche zeigen (Schwangere wissen, wovon ich rede) und sollen uns "mal zusammenreißen".

Noch unangenehmer ist es, wenn nicht mal du selber, sondern schon zum dritten Mal dieses Semester dein Kind am Abend Fieber bekommen hat und in der Kinderbetreuung nicht bleiben kann. Natürlich wärst du ohnehin lieber bei deinem Kind, wenn es krank ist, aber beim Meeting nicht dabei zu sein, wenn der wichtige Kunde kommt, ist halt so unprofessionell, und den Ersatztermin, der eh schon wegen dir verschoben wurde, den musst du jetzt aber echt wahrnehmen.

Wir leben in Österreich in einem Land mit tollen sozialen Fangnetzen, und natürlich darf man sich über die Geldleistungen nicht beklagen, die man als Mama in anderen Ländern nicht bekommt. Trotz allem ist das einzige Kinderbetreuungsmodell, das den Entfall des Einkommens etwa kompensieren kann, jenes, das man 1 Jahr lang in Anspruch nehmen kann. Das ist toll, aber verschiebt die Prioritäten der Mamas. Nach einem Jahr soll man wieder zur Verfügung stehen, wenn man schon so viel Geld kostet. Dann muss man Leistung erbringen, zumindest halbtags, weil ein so kleines Kind kann man nicht so viele Stunden am Tag fremdbetreuen lassen, also wirklich, was sind Sie denn für eine Mutter! Betreuungskosten pro Stunde sind übrigens gleich hoch wie Mamas Stundenlohn, da bleibt nur was, wenn Oma gratis manchmal betreut... ob sie will oder nicht, freu dich doch, dein Enkelkind zu sehen!

Wie wichtig uns das Arbeiten ist, zeigt auch die typisch-österreichische Halblösung der Schulschließung. Jeder schaut jetzt mal selber auf seine Kinder, Unterricht ist zu gefährlich, weil da sind die Kinder beieinander und der Virus verbreitet sich. Achso, dein Job ist wichtig? Dann bring uns dein Kind trotzdem, die haben eh wenig Kontakt zueinander, wenn sie nur betreut und nicht unterrichtet werden, absolut kein Problem! Wenn die LehrerInnen dann auch noch selber Kinder haben, wird's noch komplizierter.

Der ach so wichtige Präsenz-Unterricht in mindestens 4 überflüssigen Schulfächern wird übrigens durch Übungen zu Hause und Schulfernsehen auf ORF ersetzt - nicht nur die Pädagogen schmunzeln. Uni-Vorlesung geht plötzlich als Video (und hätte wahrscheinlich immer schon so gereicht) und ehe man sich versieht, fällt den Obersten auf, dass eigentlich eh alles wie immer läuft, nur mit weniger Ressourcen-Verschwendung im Bildungssektor. Komisch. Es bleibt zu hoffen, dass die Lektion am Ende ist, Unterrichtsformen zu überarbeiten, und nicht, Stellen abzubauen.

Nicht irgendwelche Pandemien sind das Problem, sondern der Leistungsdruck und die Profitgier, die uns krank machen. Die Frage ist, wann wir davon geheilt werden...